Die Tunschere

Geschrieben am 21.02.2014
Heinrich Gödiker

Am Silvesterabend wurden früher in Haren die „Tunscheren“ rundgebracht. Diese waren hergestellt aus Weiden, die weißgeschält und sodann gekrauselt wurden, indem man an dem Holz dünne, lange Späne losschnitt. Meistens waren sie mit einer Bindschleife umwickelt und drinnen war manchmal ein Liebesbrief verborgen. Auch hingen wohl Äpfel und Nüsse, oft sogar eine Flasche Wein daran. Die Tunschere wurde ins Haus gebracht mit folgendem Spruch:

Gauden Aowend, mien Här. Ick will jau' ne Tunscher verehrn.
Will ih mi en Stölken setten, dann möt ih nich so lange letten.
Will ih mi en Köppken maken, möt ih nich lange in de Aske raken.
Laot mi nich to lange staohn, ick mot noch 'n Hüsken wieder gaohn.

Die Tunschere wurde auf das Bord gesetzt. Oft warf man sie auch in die Küche und entzog sie dann mittels eines Fadens den Händen der danach Greifenden. (H. Gödiker)

Nach den Worten älterer Leute, die sich heute noch gut an den „Tunscheraowend“ in Haren erinnen, brachte man die Tunschere den Nachbarn, Verwandten und Bekannten als ein Zeichen der Freundschaft und des Wohlwollens ins Haus , oder man stellte sie auch wohl heimlich hinein. Der Überbringer versteckte sich dann draußen in der Dunkelheit; er musste von den „Beschenkten“ gesucht und gefangen werden. Gelang dies, so wurde er ins Haus geführt und gastlich bewirtet.

Junge Burschen „auf Freiersfüßen“ benutzten diesen Brauch gelegentlich dazu, um zum ersten Male (möglicherweise auch zum letzten Male) in das Haus ihrer „Geliebten“ zu gelangen. Sie ließen sich absichtlich fangen. Wurden sie freundlich aufgenonmen und entsprechend bewirtet (Paonkauken mit 4 Specke), so bedeutete dies , dass sie als Freier angenehm waren, also wiederkommen durften.

Im Laufe der Zeit machte sich mehr und mehr die Unsitte breit, die Tunscheren mit übelriechenden und ekligen Dingen zu versehen, um damit „bestimmte“ Leute zu ärgern und zu verspotten. So wurde aus dem ursprünglich guten Brauch ein schlechter, – und das „Tunscherenrundbringen“ verschwand ganz im Harener Brauchtum .


Heinrich Gödiker | *1.10.1893 in Belm bei Osnabrück | ✝ 28.08.1968 in Haren

Profilierter Kenner der Heimatgeschichte und langjähriger Mitarbeiter im Heimatverein Haren. Von November 1918 bis März 1956 Lehrer an der Martinischule in Haren. Autor vieler Artikel in den Jahrbüchern des Emsländischen Heimatbundes.